St. Eberhard im Tango-Fieber

Posted onCategoriesKonzert

Heiße Rhythmen, leidenschaftliche Melodien und jede Menge Emotionen wehten am vergangenen Sonntag durch die „heiligen Hallen“ der bis auf den letzten Platz gefüllten Domkirche St. Eberhard. Dort hatte der Stuttgarter Oratorienchor mit seinem „Orquesta Tipica“, der bezaubernden Mezzo-Sopranistin Lena-Sutor Wernich und dem berühmten italienischen Star-Bandoneonisten Mario Stefano Pietrodarchi Platz genommen.

Alles Tango? Nach kurzer Einführung durch den Dirigenten mit der Bitte ans Publikum sich den Applaus bis zum Schluss des Programms aufzuheben, begann dann ein Konzert, wie es wohl nicht oft in der Stuttgarter Domkirche zu erleben ist. Im Mittelpunkt des Abends stand die berühmte MISATANGO des argentinischen Komponisten Martin Palmeri.

Geniale Idee des Abends

Die einzelnen Sätze der Messe erklangen im Wechsel mit den bekannten Klassikern des „Tango Nuevo“-Genies Astor Piazzolla. Gerade dieser ständige Wechsel zwischen den teils aufregend-leidenschaftlichen, teils verträumt-sinnlichen Melodien von Adios Nonino, Milonga Del Angel, Sur, Libertango, Murasaki und den Messe-Sätzen spannte einen herrlichen Bogen über den ganzen Abend. Hier war „das Ganze“ tatsächlich mehr als „die Summe seiner Einzelteile“.

Alle Akteure des Abends wuchsen über sich hinaus

Allen voran natürlich der Ausnahme-Solist aus Italien: Mario Stefano Pietrodarchi hat diese Piazzolla-Klassiker in den Konzertsälen der Welt vorgetragen, was vom ersten Ton an unüberhörbar war. Mit ungeheurer Klangintensität und Variabilität tanzte er gleichsam mit seinem magischen Bandoneon durch die betörenden Einfälle dieser mitreißenden Musik. Alle Facetten dieser Charakterstücke erfasste Pietrodarchi kongenial. Und die Zuschauer hatten immer wieder Mühe nach den effektvollen Schlüssen nicht von den Sitzen zu springen.

Das hochkarätig besetzte Streichorchester des Stuttgarter Concertino (Konzertmeisterin Karina Kuzumi) glänzte immer wieder durch virtuose Solo-Einlagen und durch sein ebenso feuriges wie homogenes Zusammenspiel. Herausragend die Leistung des Chores: Der hatte sich die besonderen Tango-Rhythmen so zu eigen gemacht, als wäre man in Buenos Aires aufgewachsen. Aber auch die nicht zu unterschätzende Harmonik, angereichert mit Elementen des Jazz, der Bitonalität und ausgewachsenen polyphonen Abschnitten meisterte der Chor mit geradezu profihafter Souveränität. Da gab’s kein Wackeln und Zögern. Die Einsätze kamen aus allen Stimmen sehr präzise. Die dynamische Bandbreite des Chores war äußerst lebendig ausgearbeitet und die Intonation in allen Registern lupenrein. Klug gewählte Tempo-Modifikationen, textgemäße Phrasierungen und immer wieder originelle Interpretations-Ideen sorgten für eine besonders hörenswerte „Ausnahme-Interpretation“ dieser oft gesungenen Messe.

Ebenso erfreulich waren die Solo-Abschnitte: Lena Sutor-Wernich vermochte mit ihrer dunkel und warm timbrierten Stimme der Partie eine ganz eigene, intensiv-innige Note zu verleihen. Ohne Noten auswendig singend, spannte sie die weiten Phrasierungsbögen mühelos und auch in den für einen Mezzo-Sopran ungewöhnlich hohen Abschnitten, blühte die Stimme der Solistin satt und klangschön auf. Eine vorbildliche Darbietung, die keinen Vergleich zu scheuen braucht.

Am Pult agierte – ja zuweilen „tanzte“ – Enrico Trummer gewohnt temperamentvoll. Mit präzisen Gesten führte er Orchester, Chor und Solisten durch die anspruchsvollen und abwechslungsreichen Abschnitte der Partituren und sorgte mit großer Umsicht und Souveränität für eine nicht abreißende Hochspannung.

Standing Ovations

…und großer Jubel am Ende des Konzertes führten zur unvermeidlichen Zugabe an diesem besonderen Abend. Noch einmal erklang das Gloria dieser Messe mit all dem Feuer und Schmerz, den Palmeri in seine Messe gelegt hatte.